Ein Komma für die Verständlichkeit

Ein Komma für die Verständlichkeit

Wenn Kunden die Zielsprache einigermaßen gut sprechen (oder Angestellte, Freunde oder Familienmitglieder haben, die das können), ist es an und für sich intelligent, auf diese Ressourcen zurückzugreifen, um dem Übersetzer auf die Finger zu sehen. Hält er sein Versprechen von der Qualität? In letzter Zeit ist es mir aber mehrfach untergekommen, dass Kunden die gelieferte Übersetzung « verbessert » haben, und zwar um « Kommas, für die bessere Verständlichkeit ». Genau das kann aber im Englischen oder im Französischen eine blöde Idee sein. Warum ich diese Kommas wieder herausstreichen musste, lesen Sie hier.

Der Grund für fehlgeleitete Kommas (oder Kommata, für die Traditionsbewussten) ist auf etwas zurückzuführen, was die Linguisten « Interferenz » nennen: Wenn Sprachwissen aus einer Sprache unbewusst auf eine andere Sprache angewandt wird. Typische Formen von Interferenz sind zum Beispiel wörtlich übersetzte Redewendungen oder eben auch Kommata.

Nebensätze werden im Deutschen vom Hauptsatz durch ein Komma getrennt. Immer wieder hört man auch das Argument, dass man dort Kommas setzen soll, wo eine Atempause entsteht. Das ist, nicht nur im Deutschen, grammatisches Glatteis.

Dennoch will ich hier über einen Spezialfall reden, denn in fast allen Fällen, in denen meine deutschen Kunden in englischen/französischen Übersetzungen Kommata einfügten, handelte es sich um eine bestimmte Art von Nebensatz, der im Deutschen ein Komma enthält, im Englischen oder Französischen aber nicht: Ein « restriktiver Relativsatz » (engl. « restrictive relative clause », fr. « proposition relative déterminative »).

Der restriktive Nebensatz

Relativsätze sind Nebensätze, die das Nomen des Hauptsatzes näher charakterisieren, und die typischerweise mit den Worten « der/die/das » bzw. « welcher/welche/welches » eingeleitet werden: « Wir haben ein neues Produkt, welches Sie interessieren wird. » oder « Das rote Haus, das direkt hinter der Tankstelle steht, ist derzeit unbewohnt. » Das erste Beispiel ist nicht restriktiv, sondern attributiv, das zweite Beispiel schon.

Sehen Sie den Unterschied? Wie ist es mit diesen beiden Beispielen? « Die Kinder, die müde waren, kamen nur langsam vorwärts. » gegenüber « Diejenigen Kinder, die müde waren, kamen nur langsam vorwärts. » Im ersten Fall kann man den Nebensatz weglassen oder in einen eigenen Satz ausgliedern, weil er sich als Attribut auf alle Kinder bezieht: « Die Kinder kamen nur langsam vorwärts. Sie waren müde. » Im zweiten Fall kommen aus der Gruppe aller Kinder nur diejenigen nicht so recht voran, die müde waren. Das heißt umgekehrt auch, dass es wache und flinke Kinder in der Gruppe gab. Hier ist der Nebensatz restriktiv, er beschränkt das Nomen auf eine Teilmenge.

Na und, kann der Deutsche sagen, Nebensatz ist Nebensatz und Komma ist Komma! Leider sehen Franzosen und Briten (und Amerikaner, etc.) die Sache etwas anders, denn sie markieren in der Schrift, ob die eine oder die andere Verwendung des Relativsatzes gemeint ist:

Die englische restrictive relative clause und die französische proposition relative déterminative werden nicht vom Hauptsatz abgetrennt. Nur Relativsätze, die man getrost weglassen kann, ohne den Sinn des Satzes zu ändern, werden mit Komma abgetrennt.

Das ist durchaus keine Korinthenkackerei, sondern sehr nützlich (oder schädlich, wenn man es falsch macht). Es besteht ein Unterschied darin, dem Kunden zu erklären, dass bestimmte Aktivitäten kritisch für den Erfolg eines Projektes sind, oder ausnahmslos alle Aktivitäten:

These activities which are presented above are business critical operations that need to be carried out with utmost diligence.
[(Ausschließlich) diejenigen Aktivitäten, die oben vorgestellt werden, sind unternehmenskritische Eingriffe, welche mit höchster Sorgfalt umzusetzen sind.]

These activities, which are presented above, are business critical operations that need to be carried out with utmost diligence.
[(Alle) diese Aktivitäten, die (alle) oben vorgestellt werden, sind unternehmenskritische Eingriffe, welche mit höchster Sorgfalt umzusetzen sind.]

Example.com conteste expressément toutes les objections ou confirmations du client, qui se réfèrent à d’autres conditions générales que celles-ci.
[Example.com widerspricht ausdrücklich allen Einwänden oder Bestätigungen des Kunden, die sich (allesamt) auf andere AGB beziehen.]

Example.com conteste expressément toutes les objections ou confirmations du client qui se réfèrent à d’autres conditions générales que celles-ci.
[Example.com widerspricht ausdrücklich all (jenen) Einwänden oder Bestätigungen des Kunden, welche sich auf andere AGB beziehen.]

Im Deutschen lassen sich jeweils beide englischen und französischen Sätze exakt gleich formulieren. Wir müssen uns also damit behelfen, die Einleitung des Relativsatzes anzupassen: « All diese », « Die », « Diese », « Diejenigen » oder gar « Ausschließlich die », um den Sachverhalt klarzustellen. Das ist im Englischen und Französischen nicht nötig. Komma setzen oder nicht setzen und die Sache ist klar. Im einen Fall kann unser Kunde scheinbar den Mund nicht aufmachen, ohne sich gleich auf seine AGB zu beziehen – im anderen Fall präzisieren wir, welchen seiner vielen, vielen Äußerungen wir widersprechen.

Denken Sie beim nächsten Mal daran, wenn Sie das unbestimmte Gefühl haben, dass da doch irgendwo ein Komma hin müsste.

Viele Grüße, Ihr
Christopher Köbel

Christopher Köbel (Portrait)
Christopher Köbel

Inhaber von DeFrEnT Christopher Köbel. Fachübersetzer für Deutsch, Französisch und Englisch für die Branchen IT, Web, Maschinen- und Anlagenbau, Kunststoffe, Industrie 4.0. Allgemein ermächtigter Übersetzer für Französisch und Englisch. Mitglied im Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ).

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