Auf Rüsterweg erzählt die sehr unterhaltsam bloggende Kollegin Giselle Chaumien von der Perspektive der Übersetzungsagenturen auf die Zusammenarbeit mit freiberuflichen Übersetzern. Dabei spielen unter anderem „Selbstverständlichkeiten“ wie sorgfältige Arbeit, das Verhältnis von Qualität und Preis oder gute Erreichbarkeit eine Rolle. Giselle zitiert auch Anne Baumgart von SDL mit den Worten: Wenn zeitlich möglich, wird der Übersetzer um Nachbesserung gebeten, aber oftmals tun sich die Freiberufler schwer, die Kritik zu akzeptieren. Es ist nun mal so, dass der Kunde bestimmt, was er haben möchte.
Ist das tatsächlich für eine signifikaten Anzahl von Kollegen ein Problem?
Dem Kunden Alternativen anbieten
Meine eigene Einstellung und auch die der Kollegen, mit denen ich mich regelmäßig unterhalte, spricht eher dafür, dass Übersetzer sich durchaus bewusst sind, dass jedem Menschen Fehler unterlaufen und dass die Geschmäcker verschieden sind. Nicht von ungefähr wird man 8 alternative Übersetzungsmöglichkeiten erhalten, wenn man 3 Übersetzer fragt. Manche von uns gehen an Änderungswünsche mit der Einstellung heran: „Wenn der Kunde etwas anders haben möchte, muss er es nur sagen.“ Andere, und dazu zähle ich mich gerne, gehen progressiver auf das Thema Fehler und Übersetzungsalternativen zu und bieten den Kunden an kritischen Stellen Alternativen mit jeweiliger Begründung an. Es gibt allerdings Kollegen, die der Meinung sind, dass es der eigentliche Job des Übersetzers sei, eine perfekte Übersetzung zu liefern – und die daraus ableiten, dass man Kunden besser nicht mit Alternativen „nervt“. Die Erfahrung mit meinen Kunden widerspricht dieser Auffassung: Ich habe bisher nur Dankbarkeit erfahren, wenn ich zum Beispiel einer Überschrift in einem Flyer so etwas beifüge:
DE: „SEPA hat höchste Priorität!“ — EN: „SEPA has top priority!“
{ Mögliche Alternative: „SEPA is key!„, die Marketing-Sprachvariante von „is crucial“ (also unumgänglich, ausschlaggebend, entscheidend). Vorteil: Derzeit sprachlich „in“ und kürzer. / Nachteil: Normalerweise ist etwas „key to something“, ausschlaggebend für etwas. Dies wird in der Werbesprache aber häufig missachtet. Gesetzter oder hipper übersetzen? }
In diesem Beispiel geht es um Quelltextnähe/sprachliche Korrektheit vs. aktuellem Sprachgebrauch/Sprachregister. Teils beziehen sich meine Vorschläge aber auch darauf, zwischen Passiv und Aktiv oder zwischen nüchternem Nominalstil und aktiverem Verbalstil zu wechseln oder ich biete zwei Begriffe an, wenn sie im Kern dasselbe bedeuten, aber unterschiedliche Nebenbedeutungen oder Konnotationen (Gefühle) in sich tragen. Aus meiner Sicht sollte es eine informierte Kundenentscheidung sein, welchen Aspekt seiner Botschaft er betont haben möchte. Natürlich darf dies nicht überhand nehmen. Ich beschränke mich mit Rückfragen auf jene wenigen Textstellen, in denen der übrige Text mir keine Entscheidungshilfe für oder gegen eine Variante ist, manchmal sind dies drei in einem Dokument, öfters aber eine oder gar keine. Zuweilen gefällt Kunden aber auch eine Formulierung nicht, die für mich unstrittig war – dann wird sie eben geändert, na und? Ich werde nicht für Eitelkeit bezahlt.
Mit Feedback (und TEnT) besser werden
Gerne gehe ich noch einen Schritt weiter: Ich teile meinen Kunden (meist gegen Projektende) mit, dass ich mich freue, wenn eventuell geänderte Endfassungen der übersetzten Dokumente ihren Weg zurück zu mir finden. Daraus kann ich zum einen lernen, welche anderen treffenden Formulierungen es noch für dieselbe Information gibt. Zum anderen analysiere ich aber auch Projektübergreifend, zu welchen Fehlern ich offenbar tendiere und arbeite daran, sie in Zukunft nicht mehr zu machen.
Ein ganz wesentlicher Punkt bei Feedbacks ist aber die Arbeit mit der Übersetzungsumgebung (TEnT) SDL Trados 2011, die ich Ende September auf die aktuelle Version 2014 umstellen werde:
Änderungen durch den Kunden können und sollten in das Translation Memory (TM) für diesen Kunden eingepflegt werden. Das TM ist eine Datenbank, die bereits von mir übersetzte Sätze paarweise mit der Übersetzung speichert und mir bei hoher Ähnlichkeit in neuen Dokumenten anbietet. Wenn der Kunde also an der Endfassung Änderungen vorgenommen hat, sollten diese Änderungen im TM nachgeführt werden, damit in Zukunft nichts „Falsches“ vorgeschlagen wird.
Zusätzlich enthalten moderne TEnTs wie Trados auch eine Qualitätssicherungskomponente. Das heißt, ich kann in die QS-Prüfung Regeln einpflegen, die bei für mich „typischen“ Fehlern sofort eine Fehlermeldung ausspucken, beziehungsweise die mir verdächtige Stellen bei der Nachkorrektur markieren. Auf diese Weise kann ich doppelt dagegen vorsorgen, denselben Fehler zweimal zu begehen – auch wenn es kein Fehler im eigentlichen Sinn, sondern eine Kundenpräferenz ist.
Damit das klappt, bin ich auf das Feedback meiner Kunden angewiesen: Wenn ich nicht weiß, welche Alternativen sie bevorzugen, welche Begriffe sie vorziehen oder als verbindlich für ihr Produkt betrachten oder dass mir im Französischen an drei Stellen Konkordanzfehler unterlaufen sind, dann werde ich daran nichts ändern können. Zum Glück haben meine Kunden und ich aber das gleiche Ziel: Fehlerfreie Übersetzungen, die dem Stil und der Wortwahl des Kunden entsprechen. Falls ich es Ihnen also noch nicht gesagt habe: Helfen Sie sich selbst und helfen Sie mir, indem Sie mir bei Projektabschluss die Finalversion Ihrer Datei zusenden.
Vielen Dank für Ihre Mithilfe!
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