[toc] Mir kamen kürzlich bei der Übersetzung eines Marketing-Textes von amerikanischem Englisch nach Deutsch das Adjektiv „committed“ und sein nominales Gegenstück „commitment“ unter. Und weil es sich um einen Text im Bereich IT-Marketing handelte, wollte sich der Kunde auch in der deutschen Fassung zu seiner Leistung „committen“ – geht ja auch gar nicht anders im Deutschen, oder? Und überhaupt: Selbst der Duden kennt das Commitment inzwischen. Ein Einblick in die übersetzerische Praxis: Unschlüssig sein – Nachfragen – Abwägen – Entscheiden.
Was bedeutet Commitment?
Es stimmt: Die höchste deutsche Sprachautorität (laut „Zeit“-Archiv auch 1954 schon) hat das Fremdwort Commitment in ihre Datenbank aufgenommen, vermerkt aber, dass es ein eher seltenes Jargonwort und „rechtschreiblich schwierig“ sei, weswegen sie, die Autorität, also er, der Duden, als gutes deutsches Synonym die „Verpflichtung“ angibt und auf die lateinische Wurzel „committere“ („in Obhut geben“ und laut Albert Martin’s Lateinwörterbuch eine Reihe anderer Bedeutungen) sowie auf die Verbindung zur „Kommission“ verweist.
Auch andere beliebte Online-Nachschlagewerke wie LEO erkennen das Commitment als deutsches Fremdwort, liefern aber eine Fülle weiterer Übersetzungen, darunter die (Selbst-)Verpflichtung(-serklärung), das Engagement, den Einsatz, die Bindung, die Festlegung, die Einstandspflicht, die Hingabe, die Überantwortung, das Bekenntnis zu etw. sowie finanzsprachlich die Rechnung, das Obligo, die Verbindlichkeit und die Zusage. Dict.cc fügt noch die Leistungsbereitschaft, die Übertragung [comm.], die Kampfhandlung [mil.], die Einlieferung/Einweisung (ins Gefängnis) oder Unterbringung (in einer Anstalt) hinzu und präzisiert LEOs „Zusage [fin.]“ auf eine Kreditzusage [fin.] . Obendrein kennt es auch eine eingedeutschte Fassung mit K: Das Kommitment, dem ich nicht trauen würde. Dem hat dann auch der Newcomer Linguee nichts mehr hinzuzufügen.
Für und wider Marketing-Englisch
Gerade im IT-Bereich sind Anglizismen gang und gäbe. Wer in der Branche arbeitet, kann zumindest Schul- und Forenenglisch und begegnet selbst dann, wenn er nur deutsche Quellen zu Rate zieht (was ihn oft von relevanten Informationen ausschließt), Informatik-Fachbegriffen, die überall auf der Welt Englisch belassen werden – na gut, außer vielleicht in französischen Ministerien. Oder nennt irgendwer seinen RAM stattdessen DZS? Da kann man als Marketing-Experte schon auf den Gedanken kommen, dass möglichst auch alle anderen Begriffe durch Anglizismen ersetzt werden sollten, damit der Content den richtigen Flow hat und für B2B-Clients einen Drive entwickelt, der ihm die richtige Incentive bietet, sich zum Produkt zu committen… ah, da war es wieder.
In meinen Augen gibt es zwar eine Grenze, wo man von präziser Fachsprache in furchtbares „Corporate Speak“ abdriftet, aber als professioneller Dienstleister kann man seine persönlichen Sprachpräferenzen zurückstellen, vor allem, wenn man weiß, dass dieser Kunde großen Wert auf innovativ und modern wirkendes Marketing-Englisch legt. Was also tun? Genau, eine Liste aller Begriffe kompilieren (zusammenstellen?), die im Verdacht stehen, in der deutschen Übersetzung als englische Begriffe übernommen werden zu müssen, sie dem Kunden samt möglicher deutscher Vorschläge mailen (per elektronischer Post schicken?) und in einem 5-minütigen Telefonat abhaken. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Sprachpuristen, keine einzige deutsche Alternative hat es geschafft.
Und der/die Marketing-MitarbeiterIn konnte mir sogar einen wirklich überzeugenden Grund für die Anglizismen nennen: In fast allen Fällen bezogen sich die extrahierten Termkandidaten auf Produkte, Services (Dienstleistungen?) oder Vertragsbestandteile, sie landeten also nicht als normale „Nomen“ in meiner Terminologiedatenbank, sondern wurden mit den Tags „Kundenspezifisch: [Firma XY]“ und „Gebrauch: Bindend“ als „Eigennamen“ eingetragen. Damit haben sie einen ganz anderen Stellenwert als „normale“ Begriffe mit den Gebrauchsklassen „Empfohlen“, „Gleichwertig“ oder gar „Abgeraten“ oder „Verboten“: Hier besteht keinerlei Formulierungsspielraum.
Drei terminologische Ärgernisse gab es aber dann doch: In den Texten bezog sich eine Abkürzung zum Einen auf einen branchenüblichen Begriff für eine Stelle im Unternehmen, die „horizontal“ über mehrere sonst unabhängig „vertikal“ arbeitende Abteilungen hinweg Aktivitäten koordiniert – zum Anderen aber auch auf ein firmeneigenes Weiterbildungsangebot für ihre Kunden. Auch das konnte im Telefonat schnell geklärt werden. Das zweite terminologische Ärgernis war ein inkonsistent genutzter Name für einen Service (CSP oder CSSP?), wofür wir ebenfalls eine Regelung fanden. Das dritte Ärgernis aus meiner Sicht war … das Commitment.
Committing to „commitment“
Obwohl ich mehrere an den entsprechenden Stellen passende Synonyme von „(Selbst-)Verpflichtung“ bis „Leistung“ vorgeschlagen hatte, sind wir am Ende beim „Commitment“ geblieben. In der Englisch-affinen IT-Branche musste man nicht damit rechnen, dass er nicht verstanden würde (s.o.). Die Erklärung des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin, warum ihm/ihr die deutschen Vorschläge problematisch erschienen, fand ich aber dann so spannend, dass ich darüber schreiben musste. In medias res:
Zur Verdeutlichung hier ein frei erfundener Beispielsatz, wobei „Quick Reaction“ der ebenfalls erfundene Eigenname der Dienstleistung sein soll (im Englischen recht zuverlässig an den Großbuchstaben erkennbar), samt drei etwas engeren und etwas freieren Übersetzungsvarianten:
EN(orig): With our Quick Reaction commitment, you can depend on nigh-100% uptime of your installation.
DE(v1): Mit unserer Quick Reaction-Selbstverpflichtung können Sie sich auf nahezu 100% Uptime für Ihre Installationen verlassen.
DE(v2): Mit unserer Quick Reaction-Leistung können Sie auf nahezu 100% Betriebszeit Ihrer Installation vertrauen.
DE(v3): Quick Reaction beinhaltet unser Engagement für Installationen mit fast 100% Funktionsfähigkeit.
Die gemeinte Bedeutung: Der Grund, warum es weder eine „(Selbst-)Verpflichtung“ noch eine „Leistung“ sein durfte, war gewollte Polysemie, die böswillig auch als „schwammige Ausdrucksweise“ oder „leere Marketing-Sprechblase“ bezeichnet werden könnte. Der/die MitarbeiterIn wurde an dieser Stelle denn auch ein wenig nervös, als ich um eine Erklärung bat, was aus Sicht ihres Unternehmens das englische „commitment“ denn umfasse. Dies ist übrigens nicht ungewöhnlich, wenn Sprachexperten bei der gemeinten Bedeutung nachbohren, egal um was es geht.
Er/sie antwortete jedenfalls etwas in der Art von: Naja, ein … ein Commitment eben, kennt man doch. Leistung können wir nicht schreiben, das wäre zu … also, wir garantieren das ja nicht, sehen Sie? Wir versuchen nur, so schnell wie möglich zu reagieren, unser Bestes zu geben. Aber ohne Verpflichtung, wir bemühen uns halt.
Dies war genau die Information, die sein/ihr Übersetzer an diesem Punkt brauchte. Auch allen anderen Kunden kann ich nur raten: Keine Scheu, wenn Ihr Übersetzer nachhakt, was eigentlich gemeint ist! Das ist für uns ein wichtiger Teil der Arbeit. Außerdem ist die Aussage Wir rackern uns richtig ab, damit das klappt, aber wir können es halt nicht garantieren, weil das Leben ein Miststück ist
kein Grund, sich zu schämen: In der Realität gibt es keine ewigen 100%-Erfolge oder -Sicherheiten (außer natürlich, es geht um 1.000.000 Jahre sichere Atom-Endlager oder den Schutz deutscher Daten vor – ach, lassen wir das).
Abwägungen: „Bemühen“ ist im Deutschen zu negativ belastet, man kennt das ja aus Zeugnissen: „…hat sich stets bemüht“ wird „…war ein Totalversager“ ausgesprochen. Die „(Selbst-)Verpflichtung“, „Zusicherung“ oder „Leistung“ fielen aus den genannten Gründen weg, eine womöglich rechtlich bindende Zusicherung konnte an dieser Stelle nicht gegeben werden. Eine gute Lösung hätte „Engagement“ sein können – dieses französischstämmige Lehnwort kann derzeit im Deutschen Willen, Zielstrebigkeit und Anstrengung ausdrücken, ohne die negative Konnotation von „Bemühen“ zu tragen. Dabei verfügt fr. engagement / dt. Engagement über die gleiche Polysemie wie en. commitment / dt. Commitment: Beide können sowohl ein Bestreben ausdrücken als auch eine bindende Zusage, wobei ich sagen würde, dass im Deutschen „Engagement“ außer bei der vertraglichen Verpflichtung von Freiberuflern und Künstlern vor allem ein nicht-bindendes (Selbst-)Bekenntnis zu einer Sache ausdrückt, während ich Commitment im Deutschen bisher ausschließlich in der letzten Bedeutung kennengelernt hatte, vor allem im Kontext Freiwilligenarbeit. Die Verbindlichkeit beider Wörter scheint mir daher im Deutschen geringer zu sein als in den Ursprungssprachen.
Entscheidend war nach all diesen Abwägungen letztlich folgendes: Wenn es kein originär deutsches Wort gibt, welches gleichzeitig auf positive Art ein „Bemühen“ ausdrückt und eine für das Marketing und den Vertrauensaufbau zum Kunden wichtige „verbindliche Zusage“ zumindest andeuten kann, und wenn man in einem Text voller Anglizismen ohnehin auf ein Lehn-/Fremdwort ausweichen muss, dann kann man auch gleich den Angliszismus statt des Französismus‘ verwenden. Wir sind also – wohl überlegt und sehr gezielt – bei Commitment geblieben.
Und das machen Übersetzer andauernd. Sie hadern, sie recherchieren, sie haken beim Kunden nach, sie polysemieren oder monosemieren, sie wägen ab und entscheiden – meist allein und manchmal mit dem Kunden – über die bestmögliche Übersetzung. Selbst dann, wenn die beste Übersetzung in manchen Fällen auf „nicht übersetzen“ oder „weglassen“ hinausläuft.
Sie möchten, dass ich mich sprachlich auch so „für Sie reinhänge“ oder haben weitere Einsichten zur „Wortfindung“? Hinterlassen Sie unten einen Kommentar oder kontaktieren Sie Christopher Köbel von DeFrEnT.
Schreibe einen Kommentar